Seltenes Wetterereignis | Ein Multi-Vortex-Tornado zog durch Hambach

Am 30.04.2020 bildete sich um 18:26:52 CEST am Waldrand vor dem Neubaugebiet Hambach-West am zum Süden gelegenen Ortsrand oberhalb der Friedhofs ein Multi-Vortex-Tornado (MVT). Dies ergeben die meteorologischen Vorortuntersuchungen von Björn Stumpf in der satelitengestützten Bodenkartierungen vom 01.05.2020 bis zum 25.06.2020.

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Wie der Name Multi-Vortex schon sagt, entstehen multiple, also mehrere Tornados in einem meist mesozyklonischen Zellkomplex. Eine Mesozyklone konnte jedoch im Fall Hambach nicht nachgewiesen werden. Der Unterschied zum Tornado mit nur einer rotierenden Luftsäule sind mehrere starke, mit erhöhter Rotationsgeschwindigkeit sich bildende engbegrenzte schmale Tornados, welche die Zugrichtung wechseln und in Halbkreisform ziehen können, sowie im weiteren Schneisenverlauf vor der MVT-Auflöse schadensrelevant eher am linken oder rechten Schneisenrand Schäden verursachen. Desweiteren ist in einem MVT Fall immer eine insgesamt breitere Tornadoschneise in Zugrichtung kartierbar als bei nur einem Tornado. MVT's sind in der Bodenkartierung sehr aufwändig und speziell dann, wenn diese insgesamt schwach aufgeprägt, jedoch punktuell einzelne Tornados kurzlebig und stark sind. Die mehrwöchigen Kartierungsarbeiten waren im Tornadofall Hambach langwierig, zumal Daten eines Netzbetreibers auszuwerten waren.

Der erste Tornado in Hambach bildete sich am Waldrand auf einer landwirtschaftlichen Nutzfläche um 18:26:52 CEST und zog im Birkenweg über einen Teil des Neubaugebietes und den vorderen Teil des Friedhofes weiter in Richtung L318. Dies war zugleich die Hauptstärkungsphase dieses ersten Tornados mit einem relativ stark ausgeprägtem südlichen Inflow bis zum Ortsrand von Hambach. Bei dem ersten beschädigten Wohngebäude im Birkenweg - oberhalb des Friedhofes - konnten deutliche Tornadoschäden kartiert werden. Auffällig waren hier vom Tornadotrichterkern aufgenommene Gartenmöbel, die bis 920 Meter weit verfrachtet wurden. Eine 2 Meter breite Liege riss der Tornado mit sich und verfrachtete diese 275 Meter weit direkt in den Ortskern

(Hauptkreuzungsbereich) von Hambach. Ein betonierter Gartenzaunpfeiler ohne jegliche Angriffsfläche, da der Gartenzaun noch nicht fertig gestellt war, wurde vom Tornado teils herausgehoben und in Zugrichtung umgedrückt. Desweiteren wurden am ersten beschädigen Wohngebäude an der 80° Ostwand rückseitige Einschläge von Trümmerteilen festgestellt, die schadensanalytisch nur von einem Tornado stammen können. Von nun an zog der Tornado über den Friedhof weiter in Richtung Hauptstrasse L318 auf einen weitere Wohngebäudekomplex zu. An diesem Wohngebäude an der Koblenzer Strasse zeigte sich der Hauptgebäudeschaden in Hambach von vermehrt herausgehobenen Dachziegeln, die auf die L318 und weiter bis zu

61,4 Meter in die Dorfstraße verfrachtet wurden. An der Koblenzer Straße wurde ein weiterer Wohngebäudekomplex beschädigt. Nach Überquerung der

L318 hoben Inflowwinde des Tornados weitere Dachziegeln eines Nebengebäudes der alten Gastwirtschaft an. Die Ziegeln wurden bis zu 88 Meter weit nordöstlich in die Talmitte verfrachtet. Nach dieser Hauptstärkungsphase schwächte sich der Tornado im Halbkreis ziehend mit weiterer Zugrichtung über eine Kleingartenanlage, dem Weg zum Sportplatz und weiter zur Ortsmitte ab, wo er sich zu Beginn der Bachstraße auflöste. Zur gleichen Zeit bildeten sich neue Tornados im östlichen Teil von Hambach an der K27 Dorfstraße, die nach Gückingen führt.

Hierbei wurde ein Wohngebäudeschaden in der Dorfstraße mit 25 beschädigten Dachziegeln festgestellt und ein Trampolin auf 210 Grad verfrachtet. Am rechten Rand der MVT-Schneise in der Gückinger Straße drohte ein Baum auf ein Wohngebäude zu fallen (210°). Von nun an zog der Multi-Vortex-Tornado mit Zugrichtung 55° aus der Ortslage Hambach weiter in Richtung "Auf der Hub", der Windenergieanlagen und Autobahn A3. Im Grenzbereich Rheinland-Pfalz Hessen verfrachtete der zweite Tornado des MVT rückseitig der Zugrichtung auf 260° WSW am linken Schneisenrandbereich eine mindestens 1.4 Tonnen schwere und mit Baustoffen beladene Heuraufe 9 Meter weit. Der Tornado hob diese komplett an bei einer nordöstlichen Tornado- sowie Zellverlagerung von weiterhin 55°. Es bildete sich ein dritter Tornado im rechten Randbereich. Dieser hinterlies im Fichtenbestand weitere konvergente Fallmuster.

Der Tornado konnte auf die Sekunde genau datieren werden. Die Uhrzeiten der Kamera wurde über die TA ( Physikalisch Technische Bundesanstalt ) ermittelt. Der Zeitversatz lag bei plus 4 Minuten und 38 Sekunden. Um

18:26:52 Uhr MEZ Ortszeit entstand der Tornado und um 18:28:50 Uhr löste er sich auf.

Der Multi-Vortex-Tornado im Fall Hambach bei Diez konnte anhand der satellitengestützten Bodenkartierung mit einem insgesamt konvergenten Fallmuster, der Bruch- und Verfrachtungsschäden, der visuellen Begehung, durch Zeugenvideos und Zeugenaussagen eindeutig nachgewiesen werden. Die Tornadostärke musste aufgrund eindeutiger T4F2(S4/IF2-) Schäden hochgestuft werden. Dies entspricht einer maximalen Windgeschwindigkeit von 170 bis 190 km/h. Ein T3F1 Tornado hat nicht die Energie für das punktuell auftretende Schadensausmaß. Dies zeigen die bis zu 88 Meter weiten Verfrachtungen von Dachziegeln, konvergente Eichenbaumwürfe sowie Großastbrüche von Eichen und das Anheben einer mindestens 1.4 Tonnen schweren und mit Baustoffen beladenen Heuraufe und anschließender neun Meter weiten Verfrachtung. Die insgesammte Schneisenbreite konnte mit bis zu 475 Metern Breite bemessen werden, die Tornado Schneisenlänge auf 1,68 km.

Bilder: Björn Stumpf / Tobias Kasper

Text: Björn Stumpf, Tornado Research Project WTINFO

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